Was ist ein Kontorhaus?
Das Kontorhausviertel in Hamburg zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe. Das Chilehaus ist sogar ein weltbekanntes Kontorhaus. Was ist ein Kontorhaus?
Was ist ein Kontor?
Ein Kontor bezeichnet das Arbeitszimmer der Kaufleute. Das Wort leitet sich ab vom französischen „comptoir“, das Zahltisch, Verkaufstisch, Theke oder (Bank-)Schalter bedeutet. Gemeint ist also ein Tisch für kommerzielle Zwecke. Auf einem solchen Tisch befinden sich z. B. Geschäftsbücher, ein Abakus oder eine Geldwaage.
Bei dem traditionellen Hamburger Bürgerhaus war das Kontor zusammen mit Wohnung und Speicher unter einem Dach vereint. In der Deichstraße an der Nikolaifleet, nördlich der Speicherstadt gelegen, hat sich ein Ensemble dieser Bürgerhäuser erhalten (Siehe Abbildung unten.).
Ein Kontor ist kein Büro, und ein Kontorhaus kein Bürohaus: Das Wort „Büro“ stammt ebenfalls aus dem Französischen, nämlich von „bureau“. Das bedeutet Schreibtisch. Geldwaage und Abakus braucht man nicht, dafür aber z. B. ein Wörterbuch, Manuskripte oder andere Bild- oder Textbücher.
Was ist ein Kontorhaus?
Ein Kontorhaus ist ein Gebäude mit Kontoren, also mit Arbeitsräumen für Kaufleute. Es handelt sich um eine spezialisierte Weiterentwicklung der alten Kaufmannshäuser: Das Haus enthält in den oberen Geschossen überwiegend Kontore, im Erdgeschoss sind Geschäftsläden untergebracht. Speicher- und Wohnräume sind ausgelagert – in Hamburg in die Speicherstadt und die Villenviertel.
Ein Kontorhaus ist oft im Eigentum einer einzigen Person und wird an zahlreiche Nutzer vermietet, während bei einem Hamburger Bürgerhaus der Eigentümer oftmals auch der alleinige Nutzer war. Beispielsweise war der Hamburger Kaufmann Henry B. Sloman der erste Eigentümer des Chilehauses. Inzwischen ist es ein Investitionsobjekt der Union Investment.
Die Vorbilder
Manchmal liest man, dass nordamerikanische Bürogebäude das Vorbild für die Kontorhäuser gewesen seien. Damit wird man aber der Vielfalt der Einflüsse nicht gerecht: Als Vorbild für das erste Hamburger Kontorhaus, den Dovenhof, gelten vielmehr Londoner Geschäftshäuser – zumindest bezüglich der Funktion. Möglicherweise spielten auch andere Gebäudetypen, z. B. Passagen, eine Rolle. Vorbild für die Fassade des Dovenhofs waren Bauten der französische Renaissance. Für die Fassade des Chilehauses kam hingegen Backstein zum Einsatz, der das traditionelle Material norddeutschen Kirchen und Rathäuser war. Bedeutende Beispiele sind die Kirchen in Lübeck, Stralsund oder Wismar oder das Bremer Rathaus.
Außerdem ist zu bedenken, dass zwischen dem Bau des ersten Kontorhauses (1885) und den jüngeren Häusern (z. B. Sprinkenhof, fertiggestellt 1943) gut 60 Jahre liegen. In dieser Zeit wirkten unterschiedliche ästhetische Strömungen (Historismus, Jugendstil, Expressionismus, Heimatstil) auf die Entwicklung des Gebäudetypus Kontorhaus ein. Hinzu kamen technische Erneuerungen: Der Stahlskelettbau ersetzte den Massivbau.
- Das älteste Kontorhaus war der Dovenhof. Man hat ihn 1885-1886 an der Brooksbrücke gegenüber der Speicherstadt errichtet und 1967 abgerissen.
- Das bekannteste Kontorhaus dürfte das Chilehaus sein. Es wurde 1922-1924 nach den Plänen von Fritz Höger erbaut. Das benachbarte ehemalige Dienstgebäude der Hamburger Landherrenschaft (1906-1908) orientiert sich an den alten Bürgerhäusern. Es erlaubt somit einen Vergleich zwischen den Gebäudetypen Hamburger Bürgerhaus und Kontorhaus.
- Zum Weltkulturerbe „Speicherstadt und Kontorhausviertel mit Chilehaus“ zählen vier Kontorhäuser: Neben dem Chilehaus der Sprinkenhof, der Meßberghof und der Montanhof.
Dovenhof – Hamburgs erstes Kontorhaus
Dovenhof
Hamburgs erstes Kontorhaus
Jeder kennt das Chilehaus. Aber wer kennt den Dovenhof? Bei seiner Fertigstellung 1886 war er eine architektonische Pionierleistung: das erste Kontorhaus Hamburgs, Vorbild für viele andere Gebäude. Vielleicht wäre auch der Dovenhof Teil des Weltkulturerbes – hätte man ihn nicht 1967 abgerissen, um dem Spiegel-Redaktionsgebäude Platz zu machen.
Lage
Der Dovenhof wurde an der Brandstwiete 1 errichtet. Diese Straße ist der südliche Abschnitt der Nord-Süd-Achse Jungfernstieg – Brandstraße – Alter Fischmarkt, die die Altstadt durchzieht und über die Kornhausbrücke in die Speicherstadt führt. Der Dovenhof lag also an prominenter Stelle, direkt an einem der Hauptzugänge zu den Speichern.
Architekt & Bauherr
Der Architekt des Dovenhofs, Martin Haller (1835-1925), war auch beteiligt an der Planung des Hamburger Rathauses (1886-97) und der Laeiszhalle (mit Wilhelm Meerwein, 1904-08).
Der Bauherrr war Heinrich Ohlendorff (1836-1928). Sein Unternehmen, das Handelshaus Ohlendorff & Co., war bis zum 1. Weltkrieg der größte deutsche Importeur von Guano, der in Chile abgebaut wurde. Guano, die Exkremente von Seevögeln, diente als Dünger oder für die Sprengstoff-Produktion.
Das Gebäude
Der Architekt Martin Haller entwarf für den Kaufmann Heinrich Ohlendorff ein Gebäude, bei dem sich ein neuer Bautyp mit moderner Technik hinter einer Fassade im Neorenaissance-Stil und mit traditionellen Materialien (Granit, Sandstein) verbirgt. Der Dovenhof soll „nach Londoner Anregungen zur Vermietung von Einzelkontoren und Musterlagern an verschiedene Handelsfirmen“ (Dehio: Hamburg, Schleswig-Holstein, 1994, S. 37) entworfen worden sein. Der Gebäudetyp der Passage, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufkam, mag ebenfalls als Vorbild gedient haben. Die westliche Hälfte des rautenförmigen Grundstücks nahm der Passagenriegel ein, die östliche zwei Innenhöfe und angrenzende Lagerräume (Siehe Grundriss oben.).
Das Innere des Dovenhofs
Trat man von der Brandstwiete durch das Portal an der westlichen Längsseite, gelangte man durch einen Vorraum in ein hohes achteckiges Vestibül, das der Verteilung der Besucher diente. Eine Treppe und ein dampfgetriebener Paternoster von Hennicke & Goos, der erste Kontinentaleuropas, führten in die oberen Stockwerke. Zu beiden Seiten des Vestibüls erstreckte sich ein überdachter, galerieumsäumter Lichthof für die horizontale Erschließung. Der nördliche Lichthof führte weiter in einen Korridor, der in den Nordflügel abknickte, diesen durchzog und zu beiden Seiten Kontore erschloss. Im Gebäude gab es noch mehr Treppen, außerdem Warenaufzüge, die den Vertikaltransport erleichterten. Modern waren die elektrische Beleuchtung und die Dampfheizung. Im Vergleich zu den Hamburger Bürgerhäusern, die sich auf schmalen Parzellen aneinander schmiegten, besaß der Dovenhof bis dahin unbekannte Dimensionen: Er füllte die gesamte Breite des Straßenblocks aus.
Laeiszhof als Anschauungsbeispiel
Um sich einen ungefähren Eindruck vom Inneneren des Dovenhofs zu machen, bietet sich der Laeiszhof an. Er wurde 1897-98 an der Trostbrücke 1 erbaut. Architekten waren Haller, Hanssen und Meerwein. Das linke Foto zeigt den Lichthof des Dovenhofs; die Fotos rechts wurden im Laeiszhof aufgenommen. In beiden Gebäuden handelt es sich um einen großen, mehrstöckigen Raum. Er ist von oben belichtet und von Galerien umsäumt. Der Laeiszhof ist – wie einst der Dovenhof – mit einem Paternoster ausgestattet. Er zählt zu den letzten ihrer Art, die noch in Betrieb sind. Der Laiszhof wirkt eleganter: Der Lichthof ist breiter, die schweren Baluster sind durch ein filigranes Eisengitter ersetzt; die dunklen Tragarme der Galerien, die die Decken visuell zerstückeln, sind hellen Deckenflächen gewichen.
Von unbekannt, 1886 - pincerno; Chronik Hamburg, Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh/München, 2. Auflage 1997, S. 300, ISBN 3-577-14443-2, PD-alt-100, Link
Dovenhof und Speicherstadt
Der Bau der Speicherstadt begann 1883, 1888 war der erste Abschnitt der Speicherstadt vollendet, bis zur Fertigstellung der gesamten Anlage vergingen fast 30 Jahre.
Als 1885 der Spatenstich für den Dovenhof erfolgte, waren die Bauarbeiten an der Speicherstadt zwar schon zwei Jahre im Gange, aber noch lange nicht beendet. Bei der Fertigstellung des Dovenhofs stand also das Lagervolumen der Speicherstadt noch gar nicht zur Verfügung; zugleich war absehbar, dass das Volumen in Zukunft zunehmen würde. Der Dovenhof bedeutete in der Entwicklung der Gebäudetypen einen Fortschritt:
- Das Hamburger Bürgerhaus vereint die Funktionen Wohnung, Warenlager und Kontor unter einem Dach.
- Der Dovenhof dient noch der Kontor- und Lager-Funktion, aber nicht mehr dem Wohnen. Ohlendorff lebte in einer Villa im Stadtteil Hamm (siehe unten).
- In einer dritten Phase, sich anbahnend mit dem Bau der Speicherstadt, werden auch Kontor und Lager räumlich voneinander getrennt. Zugleich vereint man Gebäude der gleichen Funktion in spezialisierten Stadtvierteln:
- Die Speicher sind in der Speicherstadt vereint.
- Die Kontore sind in Kontorhäusern untergebracht, die sich im Kontorhausviertel befinden. Ein Beispiel ist das Chilehaus.
- Die Wohnungen der Kaufleute und die der Arbeiter*innen sind in Villen- und Arbeitervierteln ausgelagert.
Ohlendorff-Villa im Hamburg-Hamm. Von unbekannt, PD-alt-100, Link
Ohlendorff-Villa
Heinrich Ohlendorff wohnte in einer Villa im Stadtteil Hamburg-Hamm (Schwarze Str. 1). Die Ohlendorff-Villa wurde ebenfalls vom Architekten Martin Haller geplant und 1872-74 erbaut, umgeben von einem großen Park. 1943 erhielten Park und Villa Bombentreffer; nach dem Krieg beseitigte man die Ruinen. Die Ohlendorff-Villa ist nicht zu verwechseln mit der Ohlendorff’schen Villa in Hamburg Volksdorf. Heinrichs Sohn ließ diese 1928-29 nach Plänen von Erich Elingius und Gottfried Schramm erbauen. Sie dient heute u. a. als Kaffeehaus (Webseite: https://ohlendorffsche.de/)
Arbeiterwohnungen
Die Speicherstadt wurde auf dem Gebiet eines alten Arbeiterviertels errichtet. Die von dort vertriebenen Bewohner*innen fand weiter auerhalb eine neue Bleibe. Ein Beispiel ist die Karolinen-Passage im Karo-Viertel. Zwischen Glashüttenstraße (Westen) und Karolinenstraße (Osten) entstanden zwei Straßen mit Reihenhäusern. In Hamburg spricht man von „Terrassenhaus“ in Anlehnung an das englische Wort für Reihenhaus: „terraced houses“; eine Terrasse sucht man also vergebens. Das Foto zeigt (mit Blick nach Osten) Häuser, die ab 1883 erbaut wurden. Sie sind dreistöckig und haben einen kleinen Hinterhof.
Vergleich Dovenhof und die Kontorhäuser des 20. Jahrhunderts
Der Dovenhof unterscheidet sich in mehrererlei Hinsicht von den später erbauten Kontorhäusern des 20. Jahrhunderts, denen man im Kontorhausviertel begegnet:
- Der Dovenhof wurde in Massivbauweise errichtet, d. h., die Außen- und Innenwände hatten eine tragende Funktion; die Gebäude im Kontorhausviertel sind dagegen in Skelettbauweise errichtet: ein Tragskelett aus Stützen und Decken führt die Last ab, Außen- und Innenwände haben keine tragende Funktion, sondern dienen lediglich der Trennung von Außen- und Innenraum bzw. der Binnengliederung.
- Als Material kam beim Dovenhof Naturstein zum Einsatz, bei den Kontorhäusern Backstein für die Fassade und Stahlbeton für die Stützen und Decken.
- Die Fassadengestaltung des Dovenhofs nimmt Motive der französischen Renaissance auf, das Chilehaus zeigt hingegen Einflüsse der norddeutschen Backstein-Gotik.
- Die markante Dachlandschaft des Dovenhofs ist den Gebäuden im Kontorhausviertel fremd: Dort dominiert das Flachdach, meist in Kombination mit gestaffelten Obergeschossen.
- Nicht zuletzt sind die Dimensionen des Dovenhofes andere als die der später errichteten Kontorhäuser: die Grundfläche ist kleiner und die Gebäudehöhe geringer.
Den Zweiten Weltkrieg überstand der Dovenhof unzerstört, 1967 wurde er abgerissen. An seiner Stelle errichtete man das Spiegel-Gebäude.
Spiegel-Gebäude
Das Nachrichten-Magazin „Der Spiegel“ zog in das Bürogebäude (erbaut 1967-69) ein, das der Hamburger Architekt Werner Kallmorgen entworfen hatte. Seine Bauten sind stadtbildprägend: z. B. entwarf er den Kaispeicher A (1962-66), der zur Elbphilharmonie aufgestockt wurde. Das dunkle Gebäude, das auf dem Foto oben rechts am Bildrand geschnitten wird, stammt auch von Kallmorgen; es ist das IBM-Hochhaus (1963-67). Das von außen grau und monoton wirkende Spiegel-Gebäude hatte es aber in sich: Legendär ist die Inneneinrichtung des dänischen Designer Verner Panton (1926-98). Das Foto zeigt die Spiegel-Kantine im Jahr 2006. Sie steht seit 1998 mit der Snackbar unter Denkmalschutz. Diese wurde in das neue Spiegel-Gebäude Ericusspitze eingebaut, die Kantine befindet sich im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg.
Neuer Dovenhof
Inzwischen gibt es einen Neuen Dovenhof: Er wurde 1991-94 eine Ecke weiter nördlich erbaut – zwischen Kleine Reichenstraße und Willy-Brandt-Straße. Die Pläne stammen von den Hamburger Architekten Konstantin Kleffel, Uwe Köhnholdt sowie Bernd Gundermann. Das Foto zeigt den Neuen Dovenhof mit Blick von der Brandstwiete nordwärts. Am rechten Bildrand erkennt man die Ecken des Spiegel-Gebäudes.
Literatur
Dehio, Georg: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler: Hamburg, Schleswig-Holstein. Bearbeitet von Johannes Habich, Christoph Timm (Hamburg) und Lutz Wilde (Lübeck). München, Berlin: Deutscher Kunstverlag, 1994.
Beitragsbild: Von Martin Haller († 1925) – pincerno; * Hamburg-Lexikon, Zeiseverlag Hamburg, 2. Auflage 2000, S. 283, Bild-PD-alt, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=3921713
UNESCO-Welterbe in der Nähe des Dovenhofs
Speicherstadt und Kontorhausviertel mit dem Chilehaus in Hamburg
Vom Standort des Dovenhofs ist es nur einen Steinwurf weit bis zu Hamburgs UNESCO-Weltkulturerbe: Die Kornhausbrücke führt in die Speicherstadt, die südlich des Dovenhofs erbaut wurde. Das Foto zeigt das bekannte Chilehaus. Es befindet sich nicht in der Speicherstadt, sondern im Kontorhausviertel, das östlich des Dovenhofs liegt.