Sprinkenhof (Welterbe Kontorhausviertel Hamburg)
Ein architektonisches Meisterwerk ist der Sprinkenhof, eines von nur vier Kontorhäusern, die zusammen mit der Speicherstadt das Hamburger Weltkulturerbe bilden.
Die drei Blöcke des Sprinkenhofs
Der Sprinkenhof besteht aus drei Gebäudeblöcken, die sich von Westen nach Osten aneinanderreihen (auf dem Foto von links nach rechts). Im Norden grenzen die Blöcke an die Altstädter Straße, im Süden an die Burchardstraße, die Hauptstraße des Kontorhausviertels. Der westliche Block steht am zentralen Burchardplatz. Im Osten erstreckte sich der Cityhof-Block, ein denkmalgeschützter Nachkriegsbau, der trotz Protesten abgerissen wird.
Der Name „Sprinkenhof“ erinnert übrigens an den Schmied Johann Sprink, der im Jahr 1384 vom Domkapitel ein Grundstück erwarb, wo heute der Sprinkenhof steht.
Der mittlere Block des Sprinkenhofs
Zwischen 1927 und 1928 entstand nach den Plänen der Gebrüder Hans und Oskar Gerson ein würfelförmiger neungeschossiger Stahlbetonbau mit Klinkerfassade und Flachdach. Die Nutzfläche ist rund 22.000 m² groß; in den Sockelgeschossen befinden sich Läden, darüber Kontore. An der Nord- und Südseite führen jeweils zwei große Durchfahrten in den rechteckigen Innenhof.
Spaziergang zum Sprinkenhof
Es empfiehlt sich, das Kontorhausviertel bzw. den Sprinkenhof von Norden her zu betreten. Wer von dort durch die Springeltwiete auf den Sprinkenhof zugeht, kann die gesamte Breite des monumentalen Baukörpers zunächst nicht erkennen. Man blickt vielmehr auf einen Eingang, über dem in großen goldfarbenen Lettern der Schriftzug „Sprinkenhof“ prangt, darüber erstreckt sich die Klinkerfassade mit dem gleichmäßigen Fensterraster. Vorstehende Klinkerbänder bilden ein rautenförmiges, um die Fensterecken geführtes Netz. In jeder Rautenmitte ragt ein kreisförmiges Zierelement hervor. Die Springeltwiete wird links und rechts um den Eingangskubus in den Innenhof geführt. Der Eingangsblock stellt sich also nicht nur dem Blick, sondern auch dem Verkehr (und dem Wind) in den Weg.
Innenhof des Sprinkenhofs
Geht man weiter in den Innenhof, folgt der nächste Blickfang: der halbrunde Treppenturm an der gegenüberliegenden Seite. Dessen Grundrissform überrascht in dem von Geraden dominierten Sprinkenhof. Zugleich findet sich dieser Wechsel zwischen gerader und gebogener Linie auch auf der Mikroebene der Fassadenelemente wieder, wo kreisförmige Zierelemente die Fassade beleben.
Wer hingegen von Süden her in den Innenhof tritt, blickt auf die zurückhaltender gestaltete Nordfassade, die ein zweites Treppenhaus verbirgt. Beide Treppenhaus-Fassaden weichen mit ihren waagrechten und senkrechten Klinkerbändern von den diagonal geführten der übrigen Fassade ab. Zugleich wirkt die Fassade des nördlichen Treppenhauses wie die flachgedrückte Version des südlichen Treppenturms. Beide Treppenhäuser verhalten sich, um ein Bild der Schifffahrt zu entnehmen, wie ein prallgefülltes Segel an der Hafenseite und ein schlaffes an der Landseite. Ursprünglich befand sich in der Mitte des Innenhofes eine Rampe, die zur Einfahrt der Tiefgarage am nördlichen Treppenhaus führte. Diese Tiefgarage war die erste in Hamburg. Die beiden Backsteinmauern im Innenhof markieren den Verlauf der Rampen-Seitenwände.
Die Treppenhäuser (künstliche Nord-Süd-Asymmetrie)
Man kann sich damit begnügen, den Sprinkenhof lediglich als Sehenswürdigkeit wahrzunehmen. Er ist aber mehr: nämlich ein Bauwerk für alle Sinne. Wir können den Sprinkenhof auch spüren, tasten oder hören. Nehmen wir als Beispiel die beiden Treppenhäuser; sie sind im Original erhalten und im Unterschied zu den Büroräumen für Besucher zugänglich(er):
Das Treppenhaus und der Kraftsinn
Diesen Form-Unterschied kann man nicht nur mit den Augen sehen, sondern auch mit dem Körper – genauer: dem Kraftsinn – erspüren: Bei dem südlichen Treppenhaus auf halbrundem Grundriss bewegt man sich um ein rundes Treppenauge, das man beim Hinauf- oder Hinabsteigen umkreist. Die Richtungsänderungen sind kontinuierlich. Beim nördlichen Treppenhaus erfolgt die Richtungsänderung abrupt: Man muss seinen Körper am Ende eines Treppenabsatzes um eine Vertikalachse um 180° wenden. Der Wendekreis ist klein, er erstreckt sich auf dem Treppenpodest. Dessen rechteckige Grundflächenform steht im Kontrast zur Grundform des Wendekreises. Beim runden Treppenhaus ist der Wendekreis hingegen groß, außerdem entsprechen die Form des architektonischen Raums und des Wendekreises eher einander.
Die verschiedenen Treppenhausformen unterscheiden sich in dem kinästhetischen Rhythmus des Kraftaufwandes, der durch den Rhythmus von Treppenlauf und -absatz vorgegeben ist: Auf der Waagrechten des Treppenabsatzes ist nur der Kraftaufwand für die Horizontalbewegung erforderlich, bei der Schräge des Treppenlaufs kommt der zusätzlich Kraftaufwand hinzu, um den Körper gegen die Schwerkraft nach oben zu bewegen. Beim Hinabsteigen ist der Kraftaufwand anders, der Rhythmus bleibt aber gleich.
Beim südlichen Treppenhaus des Sprinkenhofs ist der Rhythmus etwa folgender: 3/6 Waagrechte, 1/6 Schräge, 1/6 Waagrechte, 1/6 Schräge. Also ein Verhältnis von rund 2/3 Waagrechte zu 1/3 Schräge. Die Waagrechte dominiert. Durch den Kraftsinn ist spürbar, dass die Funktion dieses Treppenhaus nicht alleine in der Vertikalbewegung besteht, denn man hätte die Treppe auch ohne Podest erbauen können.
Der hohe Anteil der waagrechten Verkehrsfläche bieten dem Körper Erholung, aufmerksamkeitsabsorbierende Überlastungsphänomene wie Schweißausbruch, Herzrasen oder Atemnot werden vermieden bzw. in die oberen Geschosse hinausgezögert. Die Aufmerksamkeit kann vielmehr der Umgebung, also hauptsächlich dem Treppenhaus, zugewendet werden. Denkbar ist auch, dass man sich einem Gesprächspartner zuwendet. Das Treppenhaus ist nämlich breit genug für zwei nebeneinander gehende Personen.
Beim nördlichen Treppenhaus dominiert hingegen die Schräge. Durch den Kraftsinn spürt man, dass dieses Treppenhaus kaum Platz zur Erholung bietet, es dient der Vertikalbewegung. (Erst recht gilt dies für die übrigen Treppenhäuser im Sprinkenhof, die noch enger sind.)
Das Treppenhaus und der Tastsinn
Die Form-Unterschiede zwischen den zwei Treppenhäusern sind nicht nur mit dem Gesamtkörper, sondern auch mit Körperteilen, vor allem mit den Händen, wahrnehmbar. Man kann diesen Unterschied durch den Tastsinn erspüren. Was Treppenlauf und -absatz für den gesamten Körper sind, ist der Handlauf für die Hände: nämlich der adäquate Bewegungsraum. Beim südlichen Treppenhaus wechseln sich auch beim Handlauf waagrecht und schräg verlaufende Abschnitte ab, wobei der taktuelle Rhythmus dem kinästhetischen Rhythmus entspricht. Die Übergänge zwischen Waagrechter und Schräge, d. h. die Richtungsänderungen in der Vertikalen, sind ertastbar und entsprechen dem Wechsel von Treppenlauf und -absatz, der durch den Körpersinn spürbar ist. Die Richtungsänderungen in der Horizontalen sind hingegen kontinuierlich. Die Wahrnehmungsänderungen beim Tast- und Kraftsinn erfolgen also gleichzeitig.
Beim nördlichen Treppenhaus ist der ertastbare Rhythmus und das Verhältnis ein anderer: Hier dominieren die Schrägen.
Das Treppenhaus und der Hörsinn
Je nach Wahl des Schuhwerks und der körperlichen Konstitution erzeugt die Treppennutzung Geräusche: Manche Sohlen quietschen, andere klacken; es gibt Hosen, Röcke, Mäntel, Rucksäcke oder Taschen, die rascheln, knistern, scheuern, klimpern, wenn man sich bewegt. Auch die Menschen selbst erzeugen Geräusche: sie reden, lachen oder telefonieren, vor allem: das Treppenhaus beeinflusst, sobald man sich hineinbegibt, die Häufigkeit bestimmter Geräusche: Je höher man steigt, je stärker die Treppe den Körper belastet, desto eher werden Gespräche einsilbiger oder verstummen, desto eher hört man Keuchen, Schnaufen, Klagen. Form und Material des Treppenhauses schaffen einen bestimmten Hörräum: Weiches Linoleum lässt die Schritte anders klingen als harter Stein oder knarrendes Holz; ein großes Treppenhaus mit weitem Treppenauge ist ein anderer Resonanzkörper als eine kleine Stiege. Somit gesellt sich ein akustischer Rhythmus zum taktuellen und kinästhetischen.
Das Zusammenspiel der Sinne
Für beide Treppenhäuser gilt, dass kinästhetischer, taktueller und akustischer Rhythmus in manchen Hinsichten synchron, in anderen asynchron sind (Man könnte noch den visuellen, ölfaktorischen oder thermischen Rhythmus berücksichtigen, worauf ich verzichte.). Hierzu ein paar Beispiele:
- Während der Körper bei der Treppennutzung weitgehend symmetrisch beansprucht wird, gilt dies für den Tastsinn nicht. Der Handlauf führt am Treppenauge ununterbrochen und stetig von unten nach oben. Wer also in konventioneller Weise hinaufgeht, kann nur mit der linken Hand den Handlauf ertasten, während die rechte Hand sozusagen frei bleibt. Beim Hinabsteigen verhält es sich in taktueller Hinsicht umgekehrt: die rechte Hand gleitet am Handlauf entlang. In kinästhetischer Hinsicht wird der Körper wiederum annähernd symmetrisch belastet.
- Der akustische Rhythmus kann durch Hallphänomene gestört werden, denen eine kinästhetische oder taktuelle Entsprechung fehlt.
Der Boden (natürliche Nord-Süd-Asymmetrie)
Diese künstliche Nord-Süd-Asymmetrie der Treppenhäuser nimmt eine andere, natürlich gegebene Nord-Süd-Asymmetrie im Sprinkenhof auf. Diese erschließt sich dem Blick, aber vor allem dem Kraft- und Gleichgewichtssinn: Die Bodenfläche steigt von Süden nach Norden an. Das ist gut zu sehen im Sockelbereich und gut zu spüren als Fußgänger*in oder Radfahrer*in. Ohne die Fortführung der Springeltwiete innerhalb des Innenhofs wäre die Neigung kaum wahrnehmbar. Da die Oberkanten der Einfahrten auf gleicher Höhe liegen, die Unterkanten aber dem Bodenniveau folgen, sind die südlichen Einfahrten höher als die nördlichen. Dem Sockelgeschoss kommt eine verbindende und trennende Aufgabe zu:
- Beispielsweise vermitteln Stufen zwischen dem schrägen Boden des Außenraumes und dem waagrechten Boden des Innenraums. Dadurch wird der Zugang zu den Geschäften im Erdgeschoss des Sprinkenhofs bequemer bzw. überhaupt erst ermöglicht.
- Stufen trennen aber auch: Für Rollstuhlfahrer*innen oder Personen, deren Mobilität davon abhängt, dass ein Höhenunterschied durch schräge Ebenen überwunden werden kann, ist eine Stufe ein Hindernis.
West- und Ostbau des Sprinkenhofs
Der Westbau des Sprinkenhofs wurde von 1930 bis 1932 errichtet. Die Gebrüder Gerson waren für die Pläne zuständig, allerdings verstarb Hans Gerson 1931. Die Pläne für den 1939-1943 erstellten Ostbau stammen von Fritz Höger. Oskar Gersin war 1938 in die USA emigriert, nachdem er als Jude mit einem Berufsverbot belegt worden war.
Sprinkenhof besuchen
Die nächstgelegene U-Bahnstation ist Mönckebergstraße. Durch die Straßen „Barkhof“ und „Jacobikirchhof“, vorbei an der Petrikirche, biegt man erst links in die Steinstraße und dann die zweite Straße rechts in die Springeltwiete.